So oft habe ich in meinem Leben gehört: du musst es einfach nur verkörpern. Und so oft habe ich mich damals gefragt: und wie genau geht das? Doch eine richtige Antwort habe ich nie bekommen. Also habe ich mich selbst auf die Suche nach der ultimativen Verkörperung gemacht. Und dabei erkannt, dass der Grund, warum ich von vielen der ach so schlauen Menschen, die mich in die Verkörperung bringen wollten, keine Antwort bekommen habe war, dass sie selbst nicht wirklich in Verkörperung waren. Denn so einfach sich die Idee auch anhören mag, so vielschichtig ist sie. Und vorab sei gesagt: es ist nicht immer so einfach wie es dargestellt wird.

Was am Anfang des Themas mit der Verkörperung steht ist die Tatsache, dass jede Erkenntnis die wir haben nur eine theoretische Idee ist, wenn wir sie nicht verkörpern. Verkörpern bedeutet dabei sie umsetzen, leben, durch unseren Körper fließen lassen, sie in Materie verwandeln. Denn das ist es, worum es bei Verkörperung geht – etwas immaterielles materiell werden zu lassen. Das Wort Materie hat seinen Ursprung in dem lateinischen Wort „māteria“ womit „Stamm und Schösslinge von Fruchtbäumen und Weinreben, Bauholz, Nutzholz, (Grund)stoff, Aufgabe, Anlage, Ursache“ bezeichnet wurden. Das Wort māteria wiederum ist eine Ableitung von „māter“, was Mutter bedeutet. (Daher kommt auch das Konzept vom „Mutter Erde“, da es der sichtbare, greifbare Teil der Welt ist.

Verkörperung als Möglichkeit des Seins

In seiner Bedeutung steht das Wort Materie zum einen für den Stoff aus dem etwas gefertigt ist (Material) zum anderen geht es um die „stoffliche Seite eines Naturkörpers“ (14. Jh.), als ‘Möglichkeit des Seins’, das seine Bestimmung erst durch die Form erhält. 

Wenn es also ums Verkörpern geht, dann können wir sagen, dass es zum einen darum geht die stoffliche Seite einer Erkenntnis, bzw. unseres Seins materiell zu machen. Und zum anderen geht es ganz profan darum überhaupt wirklich uns ganz in dem eigenen Körper zu sein.

Ich selbst habe als Kind und junge Frau oft meinen Körper verlassen, vor allem in Situationen die unangenehm waren oder unsicher erschienen. Ein Teil von mir ist dann quasi aus dem Körper geflutscht und hat sich das Ganze von außen angeschaut. Das war zum Beispiel der Fall als ich eine physische Missbrauchssituation erfahren habe, als ich vor lauter emotionaler Intensität in Familienkonflikten nicht wusste, wohin oder wenn mein Schmerz zu groß war – beispielsweise als klar war, dass meine Mutter mit Krebs diagnostiziert wurde. Später dann verschwand ich, während ich auf dem Zahnarztstuhl behandelt wurde, wenn der Schulbus übervoll und überfordernd war oder auch beim Sex (meine ersten sexuellen Erfahrungen waren nicht von Lust geprägt. Dazu mehr an anderer Stelle.).

Fehlende Verkörperung ist kollektiv

Es dauerte einige Zeit, bis mir klar wurde, dass ich einen signifikanten Teil meines Lebens nicht voll präsent in meinem Körper verbrachte. Und zu merken, dass dies nicht nur an meinen eigenen Erlebnissen lag. Dazu passt auch dieser Impuls hier:

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Denn wenn wir nicht ins Verkörpern kommen – und damit voll und ganz in unserem Körper ankommen – dann liegt es nicht unbedingt daran, dass wir ein Kindheitsthema hatten, oder in der Selbstsabotage sind, sondern es kann einfach daran liegen, dass wir in den epigenetischen Informationen im kollektiven Bewusstsein wissen, dass es als Frau nicht sicher ist im eigenen Körper zu sein. Denn Fakt ist eben auch, dass seit 6000 Jahren Frauen über ihren Körper definiert werden und Frauen über ihren Körper herabgesetzt.

Doch das Problem dabei ist, dass wenn ich als Frau nicht in meinen Körper gehe, mir dann eben auch ein Teil meiner Präsenz, ein Teil meiner Macht und ein Teil meiner Umsetzungskraft fehlt und ich damit eventuell nicht das kreieren kann, was ich kreieren möchte. Das ich nicht materialisieren kann, was ich möchte – weil ich selbst nicht voll uns ganz in meiner Materie bin.

Von Erkenntnis zum Sein

Und damit bringt es mich zum zweiten Aspekt der Verkörperung: wenn ich nicht in meinem Körper bin, dann kann es mir schwer fallen Erkenntnisse zu verkörpern. Dann kann es herausfordernd sein intellektuell begriffene Konzepte oder emotional erfasste Wahrheiten in dem Körper zu bringen beziehungsweise über den Körper zu leben. Denn wenn mein Körper mir nicht als ein sicherer Ort erscheint, wenn ich nicht mit ihm verbunden bin, wenn ich gelernt habe ihn in unangenehmen Situationen zu verlassen – warum sollte ich nun gerade in diesem Moment voll und ganz in ihm Platz nehmen?

Und damit sind wir bei der Krux der Verkörperung. Anstatt nun also weiterhin dem weitverbreiteten Narrativ zu folgen, dass fehlende Verkörperung Selbstsabotage sei, gilt es zunächst Sicherheit für und in unserem Körper zu schaffen. Ja, wir können das Patriarchat nicht direkt umstürzen – es wird also noch einige Zeit genügen unsichere Momente für Frauen geben. Und gleichzeitig können wir aktiv beginnen uns in dem eigenen Rahmen sichere Orte zu schaffen.

Dazu kannst du dir zuhause beispielsweise eine Ecke oder ein Kissen einrichten. In dem beginnst du einfach deinen Körper zu spüren und wahrzunehmen. Ich nenne die Übung Body Scan – dabei scanne ich einfach durch meinen Körper und nehme wahr was ist. Ohne es zu beurteilen oder verändern zu wollen. Nur diese Übung 2mal täglich zu machen kann deine Beziehung zu deinem Körper als Ort schon verändern. Vor allem, wenn es in einem sicheren Raum stattfindet, in dem du weißt, dass dein Körper sicher ist. Und damit eben auch die Sicherheit innerhalb deines Körpers erspüren kannst.

Sichere Orte schaffen um in den Körper zu gehen

Nur wenn wir uns diese sicheren Orte schaffen, dann können wir auch sicher in unseren Körper gehen und sicher in unserem Körper sein und damit ins Verkörpern kommen. Nur wenn wir uns diese Räume schaffen und auch gegenseitig erlauben, dann können wir voll und ganz in unserem Körper Platz nehmen.

Für mich war es essenziell – durch Übungen wie den Body Scan und einige andere – zu spüren, dass egal was ich fühle, mein Körper ein sicherer Ort ist und mein Körper sicher an dem Ort ist, an dem er das fühlt. So habe ich nach und nach mehr und mehr wieder Platz in meinem Körper genommen und bin seltener ausgebüchst. So bin ich ins Verkörpern gekommen und konnte mir damit dann auch das Leben erschaffen, welches ich heute habe. In einer Stadt, die mich jeden Tag bezaubert. Mit einer Wohnung mit Flussblick, mehr Platz als je zuvor in einem wunderschönen historischen Stadtviertel. Mit einem starken nährenden Sisterhood, welcher mitträgt und lachen lässt. Mit Kundinnen, die mein Herz höherschlagen lassen und mit denen ich meine Arbeit genieße. Und ja, auch mit Männern und Sex und all dem was das Herz sonst noch begehrt – für all diejenigen, die es wissen müssen.

Bin ich jetzt immer vollkommen anwesend in meinem Körper? Ehrlicherweise nein. Doch ich merke ganz genau, wenn ich es nicht bin und kann dann bewusst zurückkommen. Ich habe anerkannt, dass mein Körper immer noch epigenetische Informationen gespeichert hat, die Teile von mir zum ausbüchsen verleiten – und dich schaue ich mir nach und nach an. Und das ist okay. Denn beim Verkörpern geht es nicht um Perfektion, sondern um Präsenz. Und das teile ich am Ende mit dir, damit hier nicht der nächste Hype oder Druck entsteht. Denn: du kannst dir ein fantastisches Leben erschaffen, ohne perfekt zu sein oder alle deine Themen komplett aufgelöst zu haben. Und wer dir was anderes erzählt teilt nur patriarchalen toxischen Bullshit mit dir.

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