Wollen wir das komplette Bild der Verbindung zwischen historischer Kolonialisierung (Teil 1 findest du hier) und der heutigen Situation erfassen, so müssen wir einen Blick auf die wirtschaftlichen Interessen werfen. Denn: die Spur des Geldes ist in diesem Fall deutlich zu verfolgen.
Zu verdanken haben wir dies Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechtslage in den besetzten palästinensischen Gebieten. Und meiner Meinung nach eine Heldin ohnegleichen. Denn: sie bekommt kein Geld für ihre Arbeit, ist Sanktionen ausgesetzt und einem gewaltigen Shitstorm online. Und dennoch macht sei unbeirrt weiter.
Seit dem 1. Mai 2022 ist sie ehrenamtlich für die UN tätig und bereits am 18. Oktober 2022 rief sie in ihrem ersten Bericht dazu auf, dass die UN-Mitgliedsstaaten einen Plan entwickeln sollten, „um weitere Landbesetzungen durch die israelische Siedlungsbewegung und das Apartheids-Regime zu beenden“.
Von Besetzer-Ökonomie zu Genozid-Ökonomie
2024 legte Francesca Albanese nun den Bericht „From Occupation Economy to Genocide Economy“ vor. Darin beschreibt sie, wie eine globale Wirtschaftsordnung den andauernden Völkermord an Palästinenser:innen in Gaza stützt.
Albanese dokumentiert in dem Bericht die Beteiligung von über 60 internationalen Unternehmen – darunter Microsoft, Amazon, Airbnb, Booking.com, BP, Volvo, Barclays, Caterpillar und Lockheed Martin – die direkt oder indirekt von der israelischen Besatzung, militärischen Infrastruktur und Überwachungstechnologien profitieren. Sie argumentiert, dass diese Konzerne nicht nur stille Mitwisser sind, sondern durch die Bereitstellung von Ausrüstung, Logistik und Kapitalströmen aktiv zur Stabilisierung der Gewalt beitragen.
So sind derzeit über 300 Immobilien auf Airbnb zur Vermietung angeboten, die sich in Israels illegalen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten befinden, sowie palästinensische Flüchtlingsimmobilien, die während der Nakba beschlagnahmt wurden.
Der Bericht von Francesca Albanese zeigt: Die Besatzung ist längst kein rein politisches oder militärisches Projekt mehr, sondern ein hochprofitables Geschäftsmodell. Das internationale System, einschließlich westlicher Staaten und globaler Unternehmen, ist tief in diese „Ökonomie des Genozids“ verwoben.
Reaktionen und politische Implikationen
Der Bericht stieß natürlich auf massive Kritik von israelischen und westlichen Regierungsvertretern. Die USA belegten Albanese mit Einreisesanktionen – ein beispielloser Schritt gegenüber einer UN-Sonderberichterstatterin. Und es zeigt, wie sehr Francesca Albanese ins Schwarze getroffen hat.
Deutschland verteidigte unterdessen seine Rüstungsexporte nach Israel, die zwischen 2023 und 2025 fast 500 Millionen Euro erreichten. Laut dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) entfielen fast 30 Prozent der israelischen Waffenimporte auf deutsche Unternehmen. Dazu erwähnt werden muss, dass israelische Atomwaffen Teil der militärischen Bewaffnung Israels sind. Israel ist nicht Vertragspartner des Atomwaffensperrvertrages, wird aber zu den faktischen Atommächten gezählt, da es laut Statista 90 atomare Sprengköpfe besitzt.
Außerdem schätzt das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), dass die Bombardierungen durch Israel bis April 2024 37 Millionen Tonnen Schutt und gefährliche Materialien verursacht haben, von denen ein Großteil menschliche Überreste und Bomben enthält. Im Dezember 2024 aktualisierte das UNEP seine Schätzung auf 50 Millionen Tonnen Schutt. (Ja, Waffen und Krieg und Klimakatastrophe hängen zusammen.)
Deutschland begründet Waffenlieferungen nach Israel mit der „historischen Verantwortung“. Da stellt sich mir jedoch die Frage: welche Historie? Die Verantwortung einen Krieg zu verhindern, sieht für mich anders aus. Die Verantwortung, die Wiederholung dessen, was wir der jüdischen Bevölkerung angetan haben, für alle Menschen zu verhindern sieht für mich anders aus. Die Verantwortung zukünftigen Generationen gegenüber sieht für mich anders aus.
Zivilgesellschaftliche Gruppen wie das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) haben juristische Schritte eingeleitet, um die Waffenexporte zu stoppen. Doch bisher konnte keine der Klagen vor deutschen Gerichten weitere Lieferungen verhindern.
Auch innerhalb Europas ist die Verantwortung nicht zu übersehen: Die EU ist über Handelsabkommen, Technologiekooperationen und politische Rückendeckung tief in die wirtschaftlichen und militärischen Strukturen Israels eingebunden. Länder wie Italien, Frankreich und Großbritannien haben ebenfalls Waffenexporte genehmigt oder diplomatische Unterstützung signalisiert.
Diese Dynamik macht deutlich: Die koloniale Logik der Nakba lebt in den wirtschaftlichen und politischen Strukturen der Gegenwart fort. Während palästinensische Zivilist:innen in Gaza ausgehungert werden, profitieren internationale Akteure finanziell und politisch von der Aufrechterhaltung des Status quo.
Warum dies für unser Verständnis der Gegenwart entscheidend ist
Während die meisten von uns mittlerweile nicht mehr nachvollziehen können, warum Israel nicht gestoppt wird, warum so viele Regierungen in Europa weiterhin so zurückhaltend sind, zeigt die Verknüpfung von Albaneses Analyse mit der historischen Perspektive der Nakba deutlich, was der Hintergrund sein könnte.
Denn es handelt sich eben nicht nur um eine militärische Besatzung, sondern um ein systemisches Muster der Kolonialisierung, das durch globale wirtschaftliche Interessen verlängert und abgesichert wird. Diese Perspektive fordert uns alle dazu auf, nicht nur die lokalen Akteure zu betrachten, sondern das internationale Geflecht aus Staaten, Konzernen und Institutionen, die von dieser Gewaltordnung profitieren.
Doch wie können wir als Einzelpersonen nun dieses Geflecht von Interessen entwirren und vor allem dem Genozid ein ende bereiten? Vor allem, wenn das alles so groß und übermächtig wirkt?
Das erste ist und daran zu erinnern: wir sind die Mehrheit. Und ich glaube wir können uns alle darauf einigen, dass das, was seit Oktober 2023 vor unsere Augen quasi im Live-Stream geschieht nicht diskutabel ist. Und wenn unsere Regierungen nicht aktiv werden, dann müssen wir es tun! Gemeinsam. Sofort. Ohne Ausrede.
Viele kleine Schritte ergeben einen Marsch
Wichtig ist zu verstehen, wie relevant unsere kleinen Schritte sein können. Denn all die kleinen Schritte ergeben gemeinsam einen großen Marsch. Ich habe hier eine – sicherlich nicht komplette – Liste mit Impulsen und Schritten, die du jetzt direkt gehen kannst.
dabei ist mir wichtig: Es geht nicht darum alles zu tun – was atürlich wünschenswert wäre. Sondern erstmal das, was für dich heute umsetzbar ist. Denn sobald wir aktiv werden, kommen wir auch aus unserem Ohnmachtsgefühl. Und damit kommen wir zurück in unsere Macht.
Boykott und Konsumverhalten:
- Teilnahme an der BDS-Bewegung (Boycott, Divestment, Sanctions), die wirtschaftlichen Druck auf Israel und beteiligte Unternehmen ausübt.
- Download der No Thanks App, welche Produkte aus Israel am Strichcode erkennt. Und dann dementsprechend shoppen. Denn wer braucht hierzulande schon Kartoffeln aus Israel, wenn wir unsere eigenen haben.
- Verzicht auf Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen, die direkt oder indirekt von der Besatzung profitieren. Keine Airbnb oder Booking.com Buchungen mehr, kein Tanken bei BP, nicht mehr bei Amazon bestellen oder streamen.
- Beim Arbeitgeber checken mit welchen israelischen Produkten evtl. gearbeitet wird und Alternativen aufzeigen.
Sichtbare Solidarität zeigen:
- Tragen des Palästinensertuchs (Keffiyeh) als politisches Statement.
- Teilnahme an Demonstrationen, Mahnwachen und lokalen Solidaritätsaktionen.
- Palästina-Fahne am Balkon oder im Fenster hängen haben.
Digitale und mediale Präsenz:
- Nutzung sozialer Medien zur Aufklärung und Sichtbarmachung von Berichten, Analysen und Augenzeugenberichten.
- Folgen von Accounts die pro-palästinensisch sind. Zum einen für mehr Sichtbarkeit dieser Accounts und zum Anderen, um eine andere Perspektive auf die Ereignisse zu bekommen. das können zum Beispiel Voices for Palestine Lets talk Palestine oder andere sein
- Teilen von Informationen aus verlässlichen Quellen wie Al Jazeera, Middle East Eye oder UN-Berichten.
- Teilen von Informationen mit Freunden und Familie über Whatsapp oder Telegram. Viele Menschen verlassen sich nur auf die Tagesschau und die in Deutschland recht dünne Berichterstattung.
Finanzielle Unterstützung:
- Spenden an Hilfsorganisationen, die vor Ort in Gaza und dem Westjordanland tätig sind, wie Medical Aid for Palestinians (MAP), UNRWA oder Palestine Children’s Relief Fund (PCRF).
Und wenn du dich fragst, warum ich diese Blogbeiträge nicht schon früher geschrieben habe, dann muss ich mit Scham gestehen – mir war nicht klar, wie bubbleig meine Bubble ist. dadurch, dass ich weder die deutschen Medien als Hauptinformationsquelle nutze, noch die aktuelle Situation in Deutschland hautnah mitbekommen habe, habe ich ehrlicherweise unterschätzt, wie hilfreich es für viele gewesen sein könnte, diese Beiträge zu formulieren.
So bleibt mir jetzt nur die Hoffnung, dass wenn du bis hierher gelesen hast, du direkt einige der Aktions-Impulse umgesetzt hast und es auch weiterhin tust. Damit wir alle gemeinsam mit unseren Schritten endlich den Marsch nach Gaza schaffen, der die Menschen vor dem unendlichen Leid befreit, welches uns als Weltgemeinschaft noch lange beschäftigen wird.
Denn nun kann keiner mehr sagen, er habe es nicht gewusst. Nun kann keine mehr behaupten, dass Ppr-Palästina automatisch antsemitisch ist. Nun kann niemand sich mehr herausreden. Es ist schon viertel nach 12 – Zeit etwas zu tun.
Daher gilt die Devise: besser spät als nie. Keine falsche Scham zu spät auf das Boot aufzuspringen, sondern es jetzt erst recht zu tun.
Für die Menschen in Palästina und diejenigen, die ihnen folgen werden. Denn die epigenetischen Folgen werden uns noch lange begleiten.
Quellen & weiterführende Links:
- UN-Bericht: „From Occupation Economy to Genocide Economy“ (OHCHR)
- The Guardian: Global firms profiting from Gaza genocide
- Reuters: „Lucrative business deals sustain Israel’s Gaza campaign“
- Politico: US sanctions on UN Rapporteur Francesca Albanese
- https://www.alhaq.org/advocacy/25821.html
- Middle East Monitor: Germany vows to continue arms exports to Israel
- Reuters: Majority of Germans want tighter controls on arms exports to Israel
- ECCHR: No German weapons to Israel – Legal Case
- SIPRI Arms Transfers Database
- UN-Bericht: „From Occupation Economy to Genocide Economy“ (OHCHR)
- The Guardian: Global firms profiting from Gaza genocide
- Reuters: „Lucrative business deals sustain Israel’s Gaza campaign“
- Politico: US sanctions on UN Rapporteur Francesca Albanese
Beitragsbild: Foto von Ahmed Abu Hameeda auf Unsplash