Vergebung ist heutzutage in aller Munde, die Magie von Vergebung, die Kraft und die Einfachheit machen sie quasi zum Superfood der Selbstwirksamkeits-Techniken. Vergebung beeinflusst nachgewiesener Maßen die seelische Gesundheit und die Lebenszufriedenheit positiv und nachhaltig. Für mich damals genug Grund, um mir Vergebung genauer anzuschauen. Einer meiner ersten Lehrer war Colin Tipping, der die Radikale Vergebung lehrt. Danach bin ich auf Hoʻoponopono gestoßen und habe weitere Methoden zur Vergebung wie „Forgive into Love“ kennengelernt. Ich praktiziere mittlerweile einen eigenen Mix, denn jeder Mensch funktioniert anders und deswegen ist es wichtig, dass wir unseren eigenen Weg finden.

Was genau ist Vergebung denn nun? Vergebung ist die Umwandlung von negativen Gefühlen wie Groll, Wut und Hass, die durch Verletzungen ausgelöst wurden, in positive Emotionen wie selbstlose Liebe, Empathie, Mitgefühl und sogar in  romantische Liebe. Vergebung ist die bewusste Entscheidung nicht weiter unter dem Vorfall leiden zu wollen und der anderen Person wieder mit Offenheit zu begegnen. Für mich bedeutet Vergebung auch Freiheit, denn ich befreie mich aus den Fängen von Vergangenem und hole mir die Macht und Verantwortung für mein Leben zurück.

Ziemlich gut, oder? Und das Tolle ist, dass Vergebung relativ einfach funktioniert. Allerdings ist die Grundvoraussetzung absolute Ehrlichkeit dir selbst gegenüber. Ich habe mittlerweile zwei Arten von Vergebungs-Ritualen: eines für sofort und eines für zurückliegende Ereignisse. Und am Ende teile ich mit dir, was passiert ist, seitdem ich nicht nur anderen, sondern auch mir selber vergebe.

Gehegt und gepflegt

Bei Ereignissen, die schon länger zurückliegen nehme ich mir mehr Zeit und tauche tiefer in die Situation ein. Zum Start bietet es sich an, eine Liste zu machen mit all den Momenten und Personen, gegen die du Groll, Wut, Ärger oder Trauer hegst. Trauer ist oftmals die Vorhut von Wut und tritt dann auf, wenn wir uns nicht erlauben wütend zu sein. Denn Mädchen dürfen weinen aber nicht schreien – und so haben viele von uns gelernt traurig zu sein anstatt wütend.

Wenn du deine Liste komplett hast, schau sie dir an und vielleicht erkennst du ja Muster oder Zusammenhänge. Eventuell gibt es Situationen, in denen immer wieder die gleichen Personen auftauchen. Nimm dir ein neues Blatt und ordne die Situationen für dich. Dann entscheide wo du starten willst. Ich gehe gerne immer zuerst dahin, wo der Schmerz am tiefsten sitzt, da ich weiß, dass die Erleichterung am größten sein wird.

Wenn du deinen Startpunkt gefunden hast, sorge dafür, dass du ungestört bist. Lies dir zunächst in Ruhe alle Schritte durch. Stelle deinen Alarm auf dem Handy so, dass er nach jeweils 2 Minuten klingelt. Das ist das Zeichen zum nächsten Schritt zu gehen. Finde eine bequeme Sitzposition und schließe deine Augen. Atme ein paarmal tief ein und aus.

Schritt 1: Zeitsprung

Geh zurück in den Moment und bring all die Wut, den Frust und den Schmerz wieder hoch, den du damals gefühlt hast, als dir jemand Unrecht getan hat. Dazu kannst du zurück in die Szene gehen und wahrnehmen, was du hörst, siehst, fühlst und vielleicht sogar schmeckst oder riechst. Gehe so tief wie möglich in die Situation. Wenn der Moment zu schmerzhaft ist, dann stell dir vor, wie du die Szene beobachtest.

Beispiel: ich erinnere mich an den Moment, in dem ich beim Sport ungerecht benotet wurde. Ich stelle mir vor, wie ich in der Sporthalle bin, schaue an mir runter und kann meine Sportklamotten sehen, fühle das Quietschen des Bodens unter den Füßen, höre das Dribbeln der Bälle,   rieche den Schweiß und sehe meinen Sportlehrer vor mir, wie er mir bewusst eine schlechtere Note gibt, als Rache dafür, dass ich ihn wegen sexueller Belästigung gemeldet habe. Ich spüre, wie er diesen Moment innerlich genießt.

Schritt 2: Gefühlsprung

 Wenn du den Moment klar vor dir hast, lass deinen Emotionen freien Lauf, springe quasi in deine Gefühle. Lass die Wut, den Frust, die Trauer hochkommen, nimm wahr, wo im Körper du sie spüren kannst. Und lass sie weiter kommen. Wenn Tränen fließen oder du merkst wie dein Körper reagiert – lass es geschehen.

Beispiel: Ich spüre wie die Wut in mir hochsteigt. Es fühlt sich an, wie ein heißer Lavastrom, der aus meinem Unterbauch langsam ansteigt, bis er an meinem Hals angekommen ist. Ich merke, wie ich die Fäuste balle.

Wenn wir zürnen, hat unser Gegner seinen Zweck erreicht, wir sind in seiner Gewalt.
Ernst Freiherr von Feuchtersleben

Schritt 3: Liebessprung

Verändere deine Perspektive und sieh die gleiche Person vor dir aber diesmal mit Mitgefühl. Frage dich, was du aus dieser Situation gelernt hast? Wie hat dieser Moment dein Leben besser gemacht? Robert Betz bezeichnet solche Menschen als „Arschengel“ – Engel, die uns gesandt wurden, um an ihnen zu wachsen. Und in seiner wunderbaren Geschichte über die kleine Seele und Vergebung sagt Neale Donald Walsh: „Ich (Gott) habe dir nichts als Engel geschickt“. Jeder, der jemals in unser Leben getreten ist, auch diejenigen, die uns verletzt haben, sind niemand anderes, als jemand, der uns eine wichtige Lernaufgabe vermittelt. Was nicht bedeutet, dass das was passiert ist richtig oder fair war. Nehme also deine Situation und überlege dir, was kannst du aus der Situation für dich mitnehmen, so schmerzhaft sie auch gewesen sein mag. Wie hat sie dir geholfen zu wachsen?

Als nächstes richte deinen Fokus auf die andere Person. Welchen Schmerz oder welche Ängste hat sie erlebt, dass sie dazu gebracht hat, das zu tun? Es gibt den schönen Satz:

Verletzte Menschen verletzen Menschen.

Das beinhaltet, dass diejenigen, die andere verletzen dies tun, weil ihnen an irgendeiner Stelle auf irgendeiner Ebene auch Verletzung widerfahren ist. Schau dir die Person vor dir an und denk darüber nach, wie sie in ihrer Kindheit oder in den vergangenen Jahren verletzt worden sein könnte.

Beispiel: Ich habe meinen Sportlehrer gesehen und ihn mir als kleinen Jungen vorgestellt. Vielleicht hatte er einen Vater, der gewalttätig war, vielleicht hat er Missbrauch erfahren, vielleicht wurde er als Kind immer ungerecht behandelt. Der einzige Weg, wie er sich sicher fühlen konnte, war Schwächere spüren zu lassen, dass sie schwächer waren.

Und das ist der Moment, in dem du die FREE-FORMEL anwenden kannst:

Ich vergebe dir. / Es tut mir leid. / Danke. / Ich liebe dich.

Der Inhalt der Formel ist so zu verstehen: Ich vergebe dir, was du getan hast. / Es tut mir leid, dass ich dich verwechselt habe, dich in eine falsche Rolle gedrängt habe… / Ich danke dir für die Chance , das Wachsen, die Einsichten / Ich schicke dir Liebe. Und genau das ist es, was du zum Abschluss tust: Schicke der Person Liebe, schicke dir Liebe und schicke allen Beteiligten Liebe. Das kannst du als Lichtstrahl aus deinem Herzen machen, als Leuchten, als Herz-Konfetti-Regen – was auch immer für dich passend ist. Und spüre in dich hinein, wo du diese Liebe spürst und wie du dich mit den anderen verbindest.

Wenn wir Menschen entlassen bedeutet das nicht, dass was auch immer passiert sein mag okay ist. Es bedeutet nicht, dass die ganze Welt jetzt in Ordnung ist, es wird immer wieder Arschengel in deinem Leben geben. Was es bedeutet ist, dass die Person und die Situation keine Macht mehr über und haben und dass der Schmerz über das, was passiert ist uns nicht mehr auffrisst.

Du musst dabei nicht den Anderen bitten dir zu vergeben, es reicht vollkommen aus, dass du vergibst. Das ist absolut in deiner Macht. Und wenn du damit beginnst, ermächtigst du dich selber und wirst innerlich stärker, präsenter und “unfuckwithable”. Sinngemäß bedeutet „unfuckwithable“: Wenn du wirklich in Frieden bist und in Kontakt zu dir selbst bist und wenn nichts, was jemand sagt oder tut, dich ärgert und wenn keine Negativität dich berühren kann. Dann bist du unfuckwithable!

unfuckwithable - vergebung

Einfach und schnell

Für aktuelle Situationen wende ich direkt einfach nur die FREE-Formel an. Denn ich habe die Situation meistens noch präsent und gehe unmittelbar in Vergebung. Dazu suche ich mir einen ruhigen Ort und spreche die Formel. Smoit kann ich ebenfalls kurzfristig erkennen, was ich lernen kann und Liebe schicken. Dieser Vergebungs-Quickie hat schon Situationen komplett gedreht. Besipielsweise war ich in einem Meeting und habe gemerkt, dass eine Person permanent gegen mich agiert und mich schräg behandelt. Ich bin also aufs Klo – nicht umsonst heisst es das Stille Örtchen – und habe die FREE-Formel gesprochen. In dem Moment wurde mir klar, was ich lernen kann, ich habe das Muster erkannt und konnte loslassen. So bin ich mit wierdererlangter Macht und kraftvoll ins Meeting zurück und habe es erfolgreich zu Ende bringen können. Ein Teilnehmer hat mich später gefragt, was ich draußen genmacht hätte, danach wäre ich wie ausgewechselt gewesen.

Durch Vergebung zur Freiheit

Ich habe über die Jahre gemerkt, wie mich jede Vergebung freier gemacht hat. Ich konnte spürbar meinen Handlungsspielraum erweitern und die neu gewonnene Kraft für mich einsetzen. Und bin versöhnlicher geworden, kann mich schneller und besser abgrenzen und Ruhe mehr in mir. Irgendwann habe ich auch begonnen mir selber zu vergeben, für all die Momente, in denen ich nicht bei mir war, über meine Grenzen gegangen bin, nicht authentisch gehandelt habe. Oder auch unschöne Dinge über andere gesagt habe, fies zu Menschen gewesen bin oder gemeine Gedanken gehabt habe. Damit konnte ich mich noch mehr selbt umarmen und Frieden mit mir schließen. Und werde so Schritt für Schritt mehr unfuckwithable.

Und wenn es darum geht VErgebung auf die aktuellen Ereignisse anzuwenden: Von Collin Tipping gibt es  ein wunderbares Arbeitsblatt, welches die Prinzipen der Radikalen Vergebung in Bezug auf Ereignisse in der Welt anwendet.

Ich wünsche dir befreiende Momente.

Alles Liebe,

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Bildquelle unfuckwithable: Fractal Enlightment