Die Menarche ist ein heiliger Moment im Leben einer jeden Frau. Es ist der Moment, in dem sie das erste Mal blutet – der Moment, in dem sie durch Mutter Natur von Mädchen zur Frau wird. Und je nachdem, wie er begangen wird kann er über ihren Umgang mit Weiblichkeit, femininer Kraft und der Selbstverständlichkeit ihres Körpers bestimmen.
Meine Menarche
Ich erinnere mich noch wie heute, als es bei mir soweit war. Ich war damals die jüngste in meiner Klasse und weder wartete ich auf meine Blutung noch hatte ein meiner Freundinnen ihre Menstruation. Es war ein Dienstagnachmittag kurz vor den Sommerferien und ich spürte ein Ziehen im Unterbauch. Es fühlte sich an, als ob ich was Falsches gegessen hätte – aber irgendwie auch nicht. Ich war an dem Nachmittag zuhause und las in meinem Zimmer – Hanni und Nanni, wenn ich mich richtig erinnere. Und Hanni und Nanni hatten auch noch nicht ihre Menstruation – von daher wusste ich wirklich nicht was los war. Als ich mit dem Buch zuende war musste ich auf die Toilette. Als ich auf dem Klo saß blickte ich runter und sah, dass in meiner Unterhose ein roter Fleck war. Es dauerte einen Moment, bis ich verstand was das bedeutete. Ich wusste zunächst nicht so richtig, was ich nun tun sollte. Ich war unschlüssig was das nun für mich bedeutete. Als Fünftklässlerin war ich im Biologieunterricht noch nicht wirklich in das Thema eingestiegen. Doch ich wusste, dass es irgendetwas bedeutete, ich spürte instinktiv, dass dieser Moment irgendwie etwas verändern wurde.
Ich nahm einige Blätter Klopapier und legte sie in meine Unterhose, um mich dann auf den Weg zu meiner Mutter zu machen. Irgendjemanden musste ich erzählen, was passiert war. Und da keine meiner Freundinnen Ahnung von dem Thema hatte, war es also meine Mutter. Die Reaktion, die mir begegnete war anders als alles, was ich erwartet hätte.
Von Menarche zu Menstruation
Meine Mutter lächelte und sagte: „Das müssen wir feiern. Du bist nun dabei zur Frau zu werden. Herzlichen Glückwunsch.“ Und eh ich mich versah machte sie eine Liste von Dingen, die wir für eine Feier am Wochenende besorgen müssten. Ich dürfe alle meine Freundinnen einladen und wir würden gemeinsam den Übergang feiern. Und dann präsentierte sie mir einen o.b. mini und erklärte mir, dass ich den nun bald benutzen könnte. Damals erschien er mir so unglaublich groß und die Vorstellung diesen einzuführen erschien mir komplett absurd.
Im Gegensatz zu mir war meine Mutter bereit und so feierte ich an dem Wochenende meine Menarche-Feier, es gab kleine Rituale und ich erinnere mich an viel weiß und rot. All meine Freundinnen beneideten mich, dass ich nun schon so gut wie eine Frau sei – zu der Zeit war ich 11 Jahre alt. Rückblickend kann ich sagen, dass diese Feier dafür gesorgt hat, dass ich immer ein gutes Verhältnis zu meiner Menstruation hatte, nie ein Thema mit dem Blut oder mich dafür geschämt hätte. Im Laufe der Jahre verbrannten meine Mutter und ich die Tampons und verteilten die Asche über die schüttere Hecke zum Nachbarn – dessen Durchblick war 3 Wochen später verschwunden. Wir sammelten das Blut und gaben es in den Garten und ich lernte auch ohne offizielle Tradition, wie kraftvoll und fruchtbar dieses Geschenk ist, welches ich mit jedem Mond empfing. Erst viel später sollte ich erfahren, wie kraftvoll diese Zeremonie wirklich war. Dazu später mehr.
Denn ich lernte auch über all das nicht zu offen zu sprechen, da es viele immer noch irritierte. Während ich verwundert war über Werbefilme in denen Autos durch Binden mit einer blauen Flüssigkeit fuhren und die Regel als Stigmata in der Hand einer Wissenschaftlerin passierte, erfuhr ich wie Tabu das Thema Menstruation und Blutung war. Und ich wunderte mich woran das lag.
Die Frau als Verkörperung der Erde
Ganz traditionell war die Menstruationsblutung ein Mysterium für die Menschen, welches sie nicht verstanden. Frauen, die bluteten und gleichzeitig nicht starben hatten etwas Magisches. Die frühesten Kulturen der Sammler und Jäger waren in allen Aspekten gleichberechtigt. Frauen repräsentierten den Erdaspekt des göttlichen Paares Vater Himmel und Mutter Erde. Das Fließen der Menstruation wurde mit den Quellen und Strömungen der Flüsse gleichgesetzt, dem Fließen der Erde. Der Menstruationszyklus wurde folglich mit dem weiblichen Aspekt des ebenfalls göttlichen Paares Sonne und Mond gleichgesetzt, da dieser mit dem Mondzyklus übereinstimmte. Die Menarche bedeutete damit nicht nur die Initiierung der physischen (Fortpflanzungs-)Kraft, sondern auch der spirituellen Kraft. Dadurch wurde die Frau der Erde und dem Mond gleichwertig.
Die meisten Kulturen feierten diesen Übergang mit unterschiedlichen Zeremonien, die nicht nur das Mädchen, sondern auch die Frau selbst ehrten. In vielen Traditionen wird sie immer noch als das zentrale Ereignis der weiblichen Pubertät angesehen, da sie die Möglichkeit der Fruchtbarkeit signalisiert. In Europa begann es mit der Christianisierung, dass die traditionellen Menarchefeiern ausgemerzt wurden. Denn sie passten weder in das patriarchale System noch in das Weltbild der Kirche. Spätestens mit der Ermordung von Millionen Frauen in der Zeit der Inquisition stoppten die Feierlichkeiten. Die Kulturkreise, in denen die Menarche nicht mehr gefeiert wird, sind in der Regel patriarchalisch und betrachten Frauen nicht mehr als gleichberechtigt und heilig.
Vulvas an den Wänden
Wenn man jedoch genau hinschaut, so findet man jedoch auch heute noch überall auf der Welt Spuren und Beweise dafür, wie wichtig diese Zeremonie und die Menstruation als solches war. So befinden sich in Höhlen auf der ganzen Welt Vulva-Bilder, teilweise von vor zehntausenden von Jahren, teilweise relativ neu, die an die Wände graviert oder gemalt wurden. Es gibt vulvaförmige oder markierte Höhlen, man findet sie an Bächen in der Nähe alter Dorfplätze, deren Mauern immer wieder mit dem Symbol für die Vulva bemalt werden.
In Iowa haben sich bis vor weniger als einem Jahrhundert junge Frauen während der Menarche in diesen Höhlen zurückgezogen, um mit den Spirits in Kontakt zu gehen und sich mit der Erde zu verbinden. Auf dem Lehmboden sitzend verschmolz ihr Menstruationsfluss mit der Erde, während sie das fließende Wasser des Flusses in der Nähe hörten. In Europa waren auch Wälder gewählte Rückzugsorte, wo die Frauen auf dem Moos saßen und sich mit der Erde verbanden.
Was einen tief natürlichen Ursprung hat wurde von modernen europäischen und nordamerikanischen Wissenschaftlern gründlich missverstanden und auch in der Vergangenheit von religiösen Oberhäuptern bewusst missinterpretiert. So wurde zum einen das Bild des schädigenden blutenden Weibs verbreitet und gleichzeitig die eigene frauenfeindliche Kultur anderen übergestülpt.
Vor der Ausbreitung der christlichen Frauenfeindlichkeit galten die Körper der Frauen als spirituell mächtig. Diese Kraft nahm während der Menstruation zu, als die Lebenskraft des Körpers, das Blut, aus dem Zentrum ihrer reproduktiven/geistigen Kraft floss. So konnte man zum Beispiel das Orakel von Delphi nur während der Menstruation der Phytia, der Hohepriesterin, befragen – denn dann war sie in ihrer absoluten Macht. Noch heute gilt in den meisten nordamerikanischen Traditionen, dass Frauen in dieser Zeit so mächtig sind, dass ihre Macht die männliche Macht überwältigen würde, was sowohl für Männer als auch für Frauen schädlich ist. So entstand der Rückzug der Frauen und die Kommunion mit den Spirits. Selbst in jagenden Kulturen nahmen Frauen zu dieser Zeit nicht an der Jagd teil, da ihre Pheromone von Tieren aus der Ferne gerochen werden, und damit die Jagd erfolglos machen könnten, was die verfügbare Nahrung für die gesamte Gemeinschaft reduziert.
Menarche als Empfangen einer besonderen Kraft
Die Menarche hat deswegen eine so besondere Bedeutung, da die junge Frau noch nicht gelernt hat mit ihrer Power umzugehen. So ist ein Bestandteil der Zeremonien, dass sie Unterricht von älteren Frauen erhält und fastet um ihre spirituelle Kraft zu stärken. Ihre Rückkehr in die Gemeinschaft wird mit einem Fest gefeiert.
Menarche-Rituale finden sich in traditionellen Gesellschaften auf der ganzen Welt, aber das vielleicht herausragendste ist das der Navajo (Diné) und Apachen. Es ist ist eine viertägige Menarche-Zeremonie, das mächtige Geister anruft, um die Menschen der Gemeinschaft zu heilen. Während der Zeremonie wird das Mädchen zur Frau und vorübergehend göttlich; sie ist die Erdmutter selbst und kann die Menschen um sie herum heilen. Die Zeremonie ist quasi das wichtigste Ritual dieser Kulturen. Für die Mädchen, die die durchaus herausfordernde Zeremonie durchlaufen, bleibt es das wichtigste und ermächtigendste Ritual ihres Lebens.
Ich selber hatte die Ehre einer Apache-Zeremonie bewohnen zu dürfen und Zeugin der Macht und Magie dieses Momentes werden zu dürfen. Über vier Tage kommen die Menschen zusammen und jeder Tag hat einen ganz eigenen Fokus, während das Mädchen zur Frau geformt wird. Mich hat es besonders berührt, wie in der ganzen Zeit auch die Männer der Familie anwesend sind und diesen Moment unterstützen. An einer Stelle folgt der Vater seiner Tochter durch den Zeremoniekreis, das sehen zu dürfen hat viel in mir bewegt. Die absolute Ehrung des „Sacred Flow“,des heiligen Flusses, der jungen Frau als spirituelles Wesen, der Menstruation als kraftvolles, lebensgebendes Instrument in so einer Selbstverständlichkeit zu erleben, hat etwas uraltes in mir aktiviert. Dabei schwingt auch immer das Bewusstsein mit, dass jeder einzelne von und durch eine Frau geboren wurde und wir alle von der Großen Mutter genährt werden.
Wissenschaftliche Wirkung der Zeremonie
Durch das Feiern der Menarche erhöht sich nicht nur die soziale Anerkennung durch die Gemeinschaft, sondern es entsteht auch ein starkes Selbstwertgefühl für die Initiierte. Doch darüber hinaus gibt es sogar auch wissenschaftlich nachweisbare positive Auswirkungen die noch Jahrzehnte nach der Zeremonie spürbar sind. So ergab eine Studie aus dem Jahr 1999, dass nur wenige Navajo-Frauen, die ihre Zeremonie erhalten hatten, Probleme mit der Menopause hatten, auch wenn sie die traditionellen spirituellen Praktiken im Alter nicht fortsetzten oder sich einer Hysterektomie unterzogen hatten. Im Gegensatz dazu hatten die Navajo-Frauen, die als Mädchen die Zeremonie nicht erhalten haben, die gleichen physiologischen Probleme mit der Menopause wie die meisten Frauen in den Vereinigten Staaten. Wo also Menarchen gefeiert werden, dauern die Wirkungen des Rituals ein Leben lang an.
Mein eigener Einblick in die Kultur der Navajo bestätigt diese Studie und ebenso habe ich festgestellt, dass keine von den Frauen, die ich kenne und die ihre Zeremonie erhalten hat, Regelschmerzen oder Menstruationsprobleme hat.
Diese uralte Zeremonie sorgt für ein positives Selbstverständnis – körperlich, spirituell, sozial und geistig – das kraftvoll und zeitlos ist. Die Ehrung des heiligen Blutes, des „Sacred Flow“ verändert signifikant den Umgang mit unserem eigenen Körper und die Art und Weise, wie wir unser Leben als Frau gestalten. Auch wenn meine Mutter damals zwar nicht auf die uralten Zeremonien unserer indoeuropäischen Kultur zurückgreifen konnte, so tat sie instinktiv doch genau das, was unsere Ahninnen getan hätten. Ich sprach mit meinen Patentanten, die mir als Frauen Tipps gaben. Ich feierte mit meinen Freundinnen, die mich unterstützen. Ich wusste um die Unterstützung meines Vaters, der Zeuge all dessen war. Und mittlerweile bin ich tief dankbar dafür meine Menarche Zeremonie erhalten zu haben – auch wenn wir Mädchen sie damals als Perioden Party bezeichnet haben.
Sie hat mein Selbstverständnis als Frau geprägt und sie hat mir erlaubt einen ganz besonderen Zugang zu meiner Kraft als Frau zu geben. Ich verstand, dass die veränderten Reaktionen älterer Männer auf mich nichts mit mir, sondern mit dieser Kraft die durch mich floss zu tun hatte. Ich erkannte, dass ich nicht unrein, sondern kraftvoll war. Ich lernte, dass Rückzug kein Aufgeben, sondern einlassen bedeutete. Noch heute gebe ich das Blut auf meine Pflanzen oder in den Garten – so wie es die Navajo übrigens auch tun. Jede Frau hat ihren Garten. So, wie der Ackerbau in Europa entstand, dadurch dass Frauen die Saat in Menstruationsblut tränkten. Es gibt so vieles, was sich von dem ersten „Sacred Flow“ an durch unser Leben als Frau weben kann und es in einen anderen Fluss bringen kann.
Menarche in der Moderne
Aus diesem Grund habe ich auch begonnen die Tradition der Menarche Zeremonien in unserem Kulturkreis wieder zu beleben und sie den Gegebenheiten anzupassen. So kann diese auch noch nach der ersten Blutung durchgeführt werden, denn die Ehrung des „Sacred Flow“ kann auch noch später erfolgen – die Magie verschwindet nicht. Im Fokus steht der energetische Übergang vom Mädchen zur Frau. Wichtig ist dabei, dass das Mädchen bereit ist die Zeremonie zu empfangen. Zeremonien sind heilige Momente, die uns seit Urzeiten zusammenbringen. Und es ist an uns diese heiligen Momente wieder ins Hier und Jetzt zu bringen.
Und aus Erfahrung weiß ich, dass auch wenn du selber keine Menarche-Zeremonie erhalten hast, selbst eine späte Ehrung ein kraftvolles Instrument sein kann, um Menstruationsbeschwerden zu lindern und den Umgang mit dem eigenen FrauSein positiv zu verändern.
Es ist Zeit, dass wir uns als Frauen wieder daran erinnern, wer wir wirklich sind. Wir sind der Fluss der Erde, wir tanzen mit dem Rhythmus des Mondes, wir sind göttlich und machtvoll.